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Von Zäunen und heiterer Gelassenheit

Bericht über eine Entdeckung

Jenny kann schreiben. Und das sehr gut. Ich wusste es; denn sie war eine liebe Kollegin. Was ich weder wusste noch ahnte: Sie dichtet und komponiert und singt. Und zwar sehr gut.

Aus Jenny ist Colletti geworden. Mit Gitarre. Im März hat sie ihr kleines Album Searching for Former Solace herausgebracht. Berglandschaften auf dem Cover, verlegt von Barhill Records im saarländischen Riegelsberg. Was bekommt man? Sechs höchst poetische Chansons (ja: Chansons in englischer Sprache!), die man zigmal hintereinander hören kann, es wird nicht zu viel. Ein bisschen Blues liegt über allem, was ja auch der Titel der EP schon andeutet: Es geht um Trost, der einmal nötig war, der irgendwie abhandengekommen, aber auffindbar geblieben ist …


Ein Wiedereinstieg

Der Saarbrücker Zeitung vertraute die Singer-Songwriterin an, dass ihr Wiedereinstieg in die Tonkunst mit mehreren Zufällen zu tun hatte. Einmal war es die Pandemie mit ihren Bremseffekten, aber zuvor auch eine Weihnachtsfeier, bei der sie von Freund°innen und Kolleg°innen mit sanftem Druck dazu gebracht wurde, zur Gitarre zu greifen.

"Ihr Wiedereinstieg" muss es deshalb heißen, weil Colletti aka Jennifer als Teen schon auf der Bühne stand, am südlichen Rand des Hunsrücks, wo sie ihre Mädchenjahre verbrachte. Damals machte sie mit in einer Punkband, es gab sogar einen gemeinsamen Auftritt mit Die Happy, die wenig später mit The Weight of the Circumstances zehn Wochen in den Charts standen.

Irgendwann geriet die aktive Musik bei Jenny dann etwas ins Hintertreffen. Sie widmete sich der Theorie, schrieb sich in Saarbrücken für Musikwissenschaft ein. Englisch, neuere deutsche Sprachwissenschaft und vergleichende Literaturwissenschaft kamen dazu. Trotz des strammen Programms blieb zwar Zeit für einen zaghaftes Bandprojekt ("Ivory I"), das aber wenig Spuren hinterließ, weil Gitarristin Jenny sich bald nach Wales aufmachte, um für eine Zeitlang an der Cardiff University weiterzustudieren.

Und jetzt kommt der dritte Zufall ins Spiel: Sie hatte vor Jahren in Saarbrücken ein Praktikum absolviert, und zwar beim Szene-Plattenladen Rex Rotari im Nauwieser Viertel. Dort jobbte auch der Musikjournalist Kai Florian Becker, und genau der betreibt jetzt Barhill Records – ein Musiklabel als Einmannbetrieb.

So wuchs nach der besagten Weihnachtsfeier irgendwann zusammen, was zusammengehört. Jobstress und Nachdenklichkeit durch Corona, ein Talent, die Lust am Texten und an der Performance, dann am Ende auch noch ein Überzeugungstäter, der den holprigen Weg auf den Markt zu ebnen hilft …

Die Autorin erkundete sich selbst: "Ich habe dann gekramt in mir, was alles so los war in den letzten Jahren. Da kam viel raus. Zum Beispiel ist ein guter Freund von mir gestorben, das hatte noch in mir geschwelt, das habe ich dann runtergeschrieben. Auch Liebeskummergeschichten und Lieder übers Vermissen. Die ersten drei Monate entstanden so acht, neun Songs." So zitiert Sebastian Dingler sie in der Saarbrücker Zeitung.

Ihr Repertoire enthält inzwischen zwei Dutzend eigene Chansons. Entstanden sind sie in den letzten beiden Jahren. Für die EP wurden sechs ausgewählt – produziert und gemastered von Marco Kallenborn. Den kennen alle in Saarbrücken als Citizen Tim, er ist selbst ein Singer-Songwriter, bei den Colletti-Stücken spielt er auch selbst einige Passagen mit.

Um den Charakter und die Qualität der Lieder einschätzen zu können, sollte man sich vor allem Building a Fence vornehmen. Und dann zuhören, was Colletti über dessen Entstehung zu sagen hat. Rechte Spalte: Meine Übertragung des Poems.

Auf der Alm

Sie habe sich "müde und leer" gefühlt, als die erste Coronawelle überstanden war. Die Auszeit auf einer Alm, die sie sich genehmigte, sollte sie aus dem Loch herausholen. Körperliche Arbeit könnte helfen, dachte sie. Und tatsächlich: "Wenn man 280 Kühe die Alm hochtreibt, ist es cool, wenn an den prekären Stellen ein Zaun steht. Einfach damit die nicht vom Weg abkommen. Das mag einem erstmal irgendwie komisch vorkommen, man sieht nicht gleich, wozu das führen soll. Aber beim Almauftrieb dann sieht man genau, was man gemacht hat. Das ist keine Begrenzung, sondern das gibt dem Ganzen eine Richtung. Ich hatte seit langer Zeit wieder das Gefühl etwas Sinnvolles tun zu können." So sagt sie es der Zeitung.

Zum Schluss

"Die Musik soll jetzt einen größeren Teil in meinem Leben ausmachen", wünscht sie sich. Und man kann es sich eigentlich auch selbst wünschen. Colletti hat es drauf. Wenn ich auf Spotify ihr Building a Fence höre, lässt der Algorithmus übrigens unmittelbar einen Song von Katie Melua folgen. Keine üble Nachbarschaft!


Wolfgang Kerkhoff
| 27.4.2022 |

 


Hinweis
Die EP Searching for Former Solace von Colletti ist auf allen einschlägigen Streaming-Plattformen zu hören oder kann bei Barhill Records bestellt werden:
https://barhillrecords.de/produkt/colletti_ep/

 

"Hearts like mine are too big to break" – Unser Bild stammt aus dem Video "I only sleep". Direkt dorthin


"Von Zäunen und heiterer Gelassenheit" –
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Zaunbauen

Ein Stock in meiner Hand. Schwere Schuhe an meinen Füßen. Raues Land.
Nicht das verheißene.

Es regnet wie verrückt. Viel Hin und Her um mich herum.
Immer noch überrasche ich mich selbst.
Das gefällt mir, immer mehr.

Und du hast gesagt: Hilf mir, bitte!
Die paar Wörter haben etwas mit mir gemacht. Ich habe mich nicht mehr entbehrlich gefühlt.

So sieht man das Leben durch eine neue Brille.
Du hast mir die Augen aufgemacht.
Mit Zaunbauen.

Ein Stechvieh im Mund. Spinne auf der Brust. Aber wer mag schon Sonntagsspaziergänge?
Das hier ist ein Kreuzzug!

Wir beten nicht ehrlich. Wir ersticken Kerzen mit Weihwasser. Blasphemie ist das nicht, wir meinen das so.

Im Gesicht habe ich Dreck, Kratzer an den Knien. Trocken wie Stein die Augen.

Auch eine lange Dürre kann eine Offenbarung sein.

[Übrigens: Colletti hat ihren Text selbst ganz anders übersetzt. Ich will da auch gar nicht recht haben.]


"Mein Augenöffner"

MMP.Mute.Music.Publishing zitiert Colletti aus Anlass der Debütsingle Buidling a Fence folgendes:

"Hilfst du mir? – Mit dieser Frage endete während meiner Auszeit in den Bergen ein kurzes Gespräch über das, was wir gleich tun würden: Zäune ziehen. Zwei Stunden später waren da ein paar hundert Meter Zaun die Alm hinauf – und in meinem Kopf war dieses Lied entstanden. Building a Fence handelt vom Wagen und Wachsen, darüber, dass es nie die eine Wahrheit und den einen Glauben gibt. Von den einfachen Dingen im Leben, die wichtig sind. Dass es immer eine andere Perspektive gibt. Mein Augenöffner."


Weitere Songs auf der EP

• Open Waters
Ein kleines Verzeichnis gefährdeter Gefühle.

• PMA
Eine Bitte: "Let me grow and let me hide. We’ve got us. And we’ll be fine."

• I only sleep
Eine Empfehlung, nicht das Offensichtliche und das Tatsächliche zu verwechseln. Sehr gut!

• Turns
Eine Klarstellung: "I don’t need your company, cause all you do is feed from me …"

• Beachblunt High
Eine Erzählung vom Vorteil heiterer Gelassenheit.

 

 

Kleine Werbepause

„Basdorfer Tage. Zwölf Anmerkungen
zum Brassens-Jahr 2021“