„Doch in der
Tiefe bohrt ein Sprachgewissenswurm.“
Willy Sanders: Sprachkritikastereien
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Bescheidene Anmerkungen zu einigen aktuellen
Phänomenen des Sprachgebrauchs
Wolfgang
Kerkhoff
Der Schlachter Tönnies beabsichtige, „rund 400
Wohnplätze in Rheda-Wiedenbrück für die zukünftigen
Angestellt*innen anzumieten“. So sehen es jedenfalls die
FR*innen vom 21.7.2020.
Bei der armen Rostwurst zieht er das „o“ so lang, dass
sie kalt wird. Aber wenn er „Afterwork“ sagt, ist sein
„A“ kurz, als wäre er Proktologe.
Die Website ist zur Webseite geworden. Mit sprachlicher
Schwarmintelligenz war auch nicht zu rechnen.
Statt Kredite wollen alle jetzt
„Schulden aufnehmen“. Das ist so, als würde man Durst
trinken.
Der Leserbriefschreiber Ekkehard
Fuck aus St. Wendel mag keine Anglizismen. Strange!
Kürzlich am Telefon: „Und dann ist
mir scheißerweise der Schlüssel abgebrochen!“ Ist das
nicht oberkreativ?
Der Wohlriechende nebenan, der
„Datenbänke“ sagt, aber für die EDV einer Bank zuständig
ist, macht mir ein klein wenig Angst.
Ein Modewort als Realsatire: „Das
können wir doch gar nicht bespielen“, zischte er. Sie
wollte Strauchrosen und Zwergwacholder, er eine
Steinplatte auf dem Grab der Mutter.
Sie sei, klagt sie, als
Redaktionsvolontärin nicht genommen worden, „trotz
mehreren Praktikas“. Na also.
Aus dem Phrasengenerator: „Über
Google generieren wir einen Großteil derjenigen, die
unsere Internetseiten konsumieren“, meldete ein
Saarbrücker Chefredakteur, als er noch optimistisch war.
Manchmal verstummt auch der
Sprachkritikaster. „Unter meines Vaters seinem Fenster“
heißt ein Titel im Deutschen Liederhort (1894). Echt.
Im Internet gebe es eine „Poesie
der Beschimpfung“, meinte Sascha Lobo früher. Aber es
war die kalte Prosa der Flegel.
„Frau Döring wurde meines Wissens
nach nicht direkt gewählt“, schreibt einer von der JU.
Vor meines Wissens auch nicht.
„Die Hoffnungen an den
Bundespräsidenten sind riesig“, lautete eine Schlagzeile
des „Focus“. Das ist Fakt.
Auch die Süddeutsche reitet gern
den weißen Schimmel der „radioaktiven Strahlung“.
Die große Koalition, sprach der
Linke, sei ein abgekatertes Spiel. Er wiederholte es
zweifach, meinte es also. Dreimal roter Kater!
An allem wird gespart. Auch gerne
an zwei Buchstaben, wenn jetzt viel von Vorteilsannahme
die Rede ist. Aber sie heißt im Gesetz nun einmal so,
und 'nehmen' ist weniger selig als 'annehmen'.
Bietet die Landesverfassung
eigentlich keinerlei Handhabe gegen SR-Moderatorinnen,
die „Neunkirchen“ auf der zweiten Silbe betonen?
Immer wieder gerne genommen: „Er
kündigte an, es prüfen zu wollen.“ Als könnte er für
einen künftigen Willen heute einstehen!
Zuletzt im Deutschlandfunk: „Die
Wissenschaftler wollten nun in realiter überprüfen ...“
Da fragt man sich schon, wie viele reale Liter der
Reporter intus hatte.
„Der Online-Kauf von Privatleuten
ist Vertrauenssache“, stand prominent in der SZ. Aber
wir wussten doch: Leute kauft man sich am besten bar
Kralle.
Europäische Kompetenz des
Saarlandes: „Flit-Baquet“, auf einer Werbetafel in
Neunkirchen.
Die Vorsitzende rief aus: „Dass
das Hiwwelhaus noch steht, ist sein größter Verdienst.“
Hoffentlich wird der auch sauber versteuert.
„Tschournalisten“ sagen jetzt
viele. Ein Infekt aus dem Englischen. Nur müsste man
dann konsequent „Tschörnalist“ sagen.
Vor ein paar Tagen schrieb er, auf
gut saarländisch: „Hälst du mir bei?“ Ich antwortete: „Jezt
nicht mehr!“
„Ich verwehre mich gegen deine
Unterstellungen“, presste sie gleich mehrfach aus sich
heraus. Das nenne ich wehre Streitkultur.
Viele sagen jetzt: „Saarlands
Ministerpräsident“. So, als könnte man sagen: Ich fahre
nach Saarland. Kann man aber nicht.
Gerade wieder in einer Zeitung:
„entgegen anderslautender BND-Angaben“. Die unbilligen
Genitive werden wirklich immer billiger!
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