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Kompakt - Archiv
 

 

Herein, Memme!
Sang man nicht: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall“? Das waren wahrhaft raumgreifende Töne: „Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! - Wer will des Stromes Hüter sein?“ Platz da!
Ja, Rufe können sehr weit schweifen. Wie auch der „gewaltige Halleluja-Ruf“ der Musikschule Volkach, von dem die Mainpost glaubhaft berichtete, dass er 2.400 Trommelfelle zum Zittern brachte. Da wundert es kaum, dass es nun heißt: „Saunen sind platzsparender als ihr Ruf“. So steht es in der Saarbrücker Zeitung vom 19.2.2021. Das bedeutet: Die Sudatorien haben einen kräftigen und daher untadeligen Ruf, sind selbst aber eher scheu und schüchtern, weshalb man sie oft in Kellerräumen findet. Weshalb wiederum das Blatt dazu ermuntert, sie in Wohnzimmer einzubauen. Denn das Schwitzbad genießt bekanntlich seit der Steinzeit hohes Ansehen, wegen der Hitzeschockproteine mal zumindest.
Gerade höre ich es wieder, wie es aus der zierlichen Zirbenbox dröhnt wie Donnerhall: „Herein, Memme, und auf die oberste Bank!“
| 19.2.2021 | wk |

 



Unregulierte Egos
Allurteile sind Sorgenkinder der Logik. Meistens falsch, immer anmaßend (natürlich auch dies ein Allurteil!). Unter Umständen aber auch schön. Ohne sie gäbe es wohl keine guten Aphorismen. Ein ebenso anrührender wie blasierter Merksatz ist Volker Weidermann im Spiegel 31/2020 gelungen, wo es um das Literaturarchiv Marbach und die emotionale Intelligenz von Philolog*innen geht: „Einige Leute glauben ja auch immer noch, dass Menschen, die sich beruflich mit Literatur beschäftigen, doch irgendwie empathischer, feinsinniger, besser sein müssten als andere. Eine groteske Fehleinschätzung. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Das dauerhafte, einsame Gespräch mit Büchern, die in der Regel nicht widersprechen, lässt unregulierte Egos ins Riesenhafte wachsen.“
| 27.7.2020 | wk |

 


 

Ein Scheitern
Monika Grütters? Ist das nicht die, die vor ein paar Jahren mit plakativen Förderzusagen fürs Weltkulturerbe Völklinger Hütte für die CDU Saar Punkte sammeln ging, sich aber nicht daran hielt? Ist das nicht die Meisterin des „ungerührten Phrasendreschens“ mit einem arg paternalistischen Kulturbegriff, wie sogar die arg konservative FAZ resümiert? Ja, das ist sie. Aber auch die Frau, die in einem „Zeit“-Gespräch (39/2020) auf die Frage, ob es denn etwas gebe, was ihr trotz aller Erfolge im Leben nicht gelungen sei, folgende Antwort gibt: „Ich habe es mir nicht ausgesucht, keine eigene Familie zu haben. Darüber bin ich traurig, weil es gute Beziehungen jahrelang gegeben hat.“ Auch wenn das „darüber“ missverständlich ist: So ein Statement in einem Interview muss man erst einmal bringen!
| 27.9.2020 | wk |

 



Schlappe 120 Jahre

Manchmal können auch die ernsthafteren unter den Journalist*innen richtig drollig sein. „Ausgerechnet aus der SPD kommt der Ruf nach einem ‚Recht auf Homeoffice‘: Im Deutschen Kaiserreich kämpfte die Partei noch zusammen mit den Gewerkschaften für ein Verbot der Arbeit zu Hause.“ Das schreibt die „Zeit“ am 10.6.2020 über einen Artikel von Michael Sontheimer. Donnerwetter! Das Engagement der Sozialdemokrat*innen ist gerade mal schlappe 120 Jahre her, und es hat sich gesellschaftlich, sozialpolitisch und technologisch seitdem doch so gut wie nichts verändert!
| 17.6.2020 | wk |

 


 

Das ist Hammer
Auf Anhieb fällt mir kein gutes Argument dagegen ein, dass Dirk Rossmann in ganzseitigen und daher teuren Zeitungsanzeigen für seinen Erstlingsroman wirbt. „Der neunte Arm des Oktopus“ ist bei Bastei Lübbe erschienen, wird unter anderem in den Drogerie-Märkten des Autors vertrieben. Ich habe das Buch (noch) nicht gelesen, bekenne mich aber zu meinem Vorurteil: Jede*r, die*der sich in die Klimadebatte einmischen will, und zwar von der vernunftgeleiteten Seite her, hat alle Rechte, dies zu tun. Und wenn es in Rossmanns Text Dramaturgiefehler und Irrtümer (Stockholm statt Oslo) gibt, auf die kleinlich schon mit dem Finger gezeigt wird, so what? Um mehr Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung zu schaffen, ist das Storytelling eines der funktionierenden Instrumente, weil die Überzeugungskommunikation über CO2- und sonstige Werte trotz Greta so offenkundig scheitert. Und wer behauptet denn, dass es sinnvoll ist, Unterhaltungsliteratur an den stilistischen Finessen von Novalis zu messen? Laut Verlag hat Udo Lindenberg über Rossmanns Buch geschrieben : „Das ist Hammer. Super spannend. Respekt!“ Bis ich es gelesen habe, schließe ich mich dem Vorredner mal vorsorglich an.
| 27.11.2020 | wk |

 


 

Mediales Pokerface
Manche zitieren jetzt wieder Botho Strauß‘ „Anschwellenden Bocksgesang“ (Spiegel 6/1993) als Vorboten der gefühlten gesellschaftlichen Erosion. Zu den ganz wenigen Sätzen der konservativen Erweckungsprosa, denen man zur Not zustimmen könnte, gehören folgende: „Überhaupt ist es pikant, wie gierig der Mainstream das rechtsradikale Rinnsal stetig zu vergrößern sucht, das Verpönte immer wieder und noch einmal verpönt, nur um offenbar immer neues Wasser in die Rinne zu leiten, denn man will's ja schwellen sehen, die Aufregung soll sich ja lohnen. Das vom Mainstream Missbilligte wird von diesem großgezogen, aufgepäppelt, bisweilen sogar eingekauft und ausgehalten. Das mediale Pokerface und die verzerrte Visage des Fremdenhassers bilden den politischen Januskopf - denn alles im Politischen lässt sich seitenverkehrt in einem Kopf vereinen.“
| 12.9.2020 | wk |

 


 

Don’t tell me facts
In einem Interview mit dem Branchenmagazin „Journalist*in“ (05/20) bekennt sich Marietta Slomka zur boulevardesken Leichtigkeit: „Auch ein politisches Interview darf entertaining sein.“ Sie findet sich selbst ziemlich gut, „weil ich immer den widersprechenden Hut aufhabe“. Sie sagt: „Ich bereite jedes Gespräch so lange und gründlich wie möglich vor.“ Offenbar ist es aber nicht immer möglich, denn das Gabriel-Interview zur Mitgliederbefragung der SPD, für das sie bis heute von interessierter Seite gelobt wird, spiegelte eigentlich einen ganz anderen, unjournalistischen Grundsatz wider: „Don't tell me facts, I've made up my mind!“
| 28.5.2020 | wk |

 


 

Einer von gestern
Josef Dörr hält sich laut Selbstauskunft im Landtagshandbuch selbst für einen Wissenschaftler. Der AfD-Fraktionsvorsitzende ist aber in Wahrheit ein Ignorant. Vor der Landespressekonferenz sagte er am 15.6.2020: „‘Rasse‘ steht im Grundgesetz drin, weil es Rassen gibt. Und niemand soll durch seine Rasse einen Nachteil haben; daher ist es auch ausdrücklich so geschrieben und sollte nicht gestrichen werden.“ Dem Mann sei die von Wissenschaftlern verbreitete „Jenaer Erklärung“ (2019) empfohlen. „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“, heißt es darin. Und weiter: „Die Verknüpfung von Merkmalen wie der Hautfarbe mit Eigenschaften oder gar angeblich genetisch fixierten Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen, wie sie in der Blütezeit des anthropologischen Rassismus verwendet wurden, ist inzwischen eindeutig widerlegt. Diese Argumentation heute noch als angeblich wissenschaftlich zu verwenden, ist falsch und niederträchtig.“
| 17.6.2020 | wk |

 

Kontrollierte Stärke
Sascha Lobo auf spiegel.de, gelesen am 16.6.2020: „Wenn Nazihorden ein türkisches Geschäft oder ein jüdisches Gotteshaus überfallen, ist eine starke, aber hart demokratisch kontrollierte Polizei die Lösung und nicht das Problem. Stark bedeutet im 21. Jahrhundert, dass die Polizei ihren eigenen, demokratischen Ansprüchen auch dann genügt, wenn im Zweifel alles transparent ist oder öffentlich wird. Diese Form der kontrollierten Stärke führt nämlich zu exponentiell größerem Vertrauen der Öffentlichkeit.“
| 17.6.2020 | wk |

 


 

In Windeln
In der „Zeit“ vom 20.5.2020 wird Paul Auster im Interview auch nach seinem Präsidenten befragt. Er stellt die Gegenfrage: „Haben Sie Kinder?“ Der Gesprächspartner Klaus Brinkbäumer antwortet „Ja“ und erhält dann folgende Auskunft: „Dann wissen Sie, dass Zweijährige sich im Zentrum der Welt sehen, alle Aufmerksamkeit brauchen. Fünfjährige sind schon halbwegs vernünftig. Nummer 45 ist immer noch zwei Jahre alt, in Windeln, den Löffel gegen den Hochstuhl hämmernd. Wir sehen einem Kranken zu.“
| 25.5.2020 | wk |

 

 

 

 

Udo Lindenberg mag Dirk Rossmann. Foto: hawobo (Bonn, 2005) commons.wikimedia [Ausschnitt]

Zum Thema "Don't tell me facts": Marietta Slomka findet sich selbst ziemlich gut. Foto: Stefanie Loos, re:publica, commons.wikimedia.org [Ausschnitt]

Zum Thema "Mediales Pokerface": Griechische Theatermaske aus Terracotta, 4. oder 3. Jahrhundert vor Christus.
Foto: Giovanni dall'Orto, commons.wikimedia.org

Zum Thema "Einer von gestern": Beim Heimattag 1937 in Homburg gehörte die rassistische Verhöhnung von Juden zu den Attraktionen. "Gute Reise!" grölte die Menge, als die verkleidete Fußgruppe vorbeimarschierte. Das Bild ist einer Publikation der "Aktion 3. Welt Saar" entnommen.
Broschüre im pdf-Format