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Trump und die Hillbillies
Abgehängte, die abhängen

Von einem, den ich schätze, ist mir auf Facebook Überheblichkeit vorgeworfen worden. Ich hatte die Trump-Wähler*innen kritisiert. Ich solle doch erst mal die Hillbilly-Elegie lesen, um zu kapieren. Nun habe ich sie gelesen. Sie ist 2016, einige Monate vor der Trump-Wahl, in den USA erschienen. Die von Autofiktion durchsetzte Lebensgeschichte des J. D. Vance ist eine gelungene, da auch spannende Sozialreportage aus den schlichteren Schichten der USA. Wenn man will, kann man sie in der Tat so verstehen, dass doch klar sein musste, dass die Abgehängten Trump wählen. So, als könnten sie halt nicht anders. Aber läge in diesem Urteil nicht die größere Überheblichkeit?

Abdankung der Demokratie

Man kann den Bestseller jedenfalls auch so lesen, dass er die Geschichte von der Abdankung der Demokratie in weiten Teilen der Bevölkerung darstellt. Es wimmelt in Vance‘ sozialem Umfeld von Gewalt und Verantwortungslosigkeit, von Antriebslosigkeit und Egoismus. Der Hillbilly, so lautet der Subtext des betont coolen „Klageliedes“, schert sich nicht ums Gemeinwohl, die Abgehängten hängen ab.

Warum Vance überhaupt den Begriff der „Elegie“ wählt, dann aber eher eine melancholische und leicht selbstverliebte Ermutigung zum sozialen Aufstieg liefert, erschließt sich nicht auf Anhieb, wirkt eher kokett. Ebenso wenig erschließt sich, wie er eine Frau vergöttern kann, die „eine durchgeknallte Waffennärrin war“ und versucht hat, ihren Ehemann durch einen Brandanschlag zu töten. Sie war Vance‘ prägende Bezugsperson, die Großmutter, zärtlich Mamaw genannt.

Die Werte der Demokratie sind die Werte der Aufklärung. Werte der Aufklärung sind Menschen- und Gleichheitsrechte, Persönlichkeits- und Bürgerrechte, Respekt, Wahrhaftigkeit, das Recht auf Bildung und - vor allem - das Gemeinwohl als Staatspflicht. Dass Trump diese Werte bewusst und systematisch verrät, ist kein Geheimnis. Ihn zu wählen, war also unter dem Gesichtspunkt des Demokratiekonzepts durchaus vorwerfbar. Dass es „dumm“ war, lässt sich also sagen, auch „unzivilisiert“. Diesen Wähler*innen einen Vorwurf zu machen, ist eigentlich Demokrat*innen-Pflicht und hat mit Überheblichkeit gerade nichts zu tun. Wer ein Interesse an Demokratie hat, muss bereit sein, die Perversion ihrer Werte zu kritisieren. Ist es nicht so?

Das auf Facebook von meinem Kritiker nachgeschobene Argument, die Wirtschaftsstatistik spreche doch für Trump, seine weniger begüterten Wähler*innen hätten sich somit rational verhalten, lässt sich mit einem differenzierten Blick auf die Zahlen weitestgehend entkräften. Der Präsident hatte ein paar positive Obama-Effekte geerbt und teuer geliehenes Geld in eine bereits laufende Konjunktur gesteckt. Es sind (bis Corona kam) Industriearbeitsplätze entstanden, Trump hat das nicht zunichte gemacht. Das stimmt, aber mehr war da kaum.

Nicht jeder*r Trump-Wähler*in ist ein Hillbilly, auch sehr Vermögende mögen ihn. Aber bei Vance steht der Prototyp nun einmal für alle „Hinterwäldler“ (nicht einmal eine so schlechte Übersetzung). Ihr Wahlverhalten zu beanstanden heißt, sie ernst zu nehmen. Und das ist eine der notwendigen Bedingungen dafür, ihre Situation mit den Instrumenten der Politik zu verbessern. Es ist keine hinreichende Bedingung, denn ohne das Mitmachen (auch ein demokratischer Wert!) gehen die besten Programme schief.

Der Republikaner Vance, nach eigener Auskunft ein „sehr altmodischer Konservativer“, weiß das. Auf die Frage, was er an der weißen Arbeiterschicht am liebsten ändern würde, pflege er, sagt er selbst, zu antworten: „Das Gefühl, dass unsere Entscheidungen keine Folgen haben.“ Dabei heißt „unsere“ in diesem Fall: von uns Hillbillies.

Wolfgang Kerkhoff
 

 

Die Cable Road Farm in Middletown (Ohio), Geburtsstadt von Autor J.D. Vance. © Nyttend, commons.wikimedia [bearbeitet]

 

 

 

 

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